19.09.2019
Propastop veröffentlicht mit Erlaubnis des Autors den in der Klick-Magnet-Rubrik von Delfi veröffentlichten Artikel von Priit Talv.
Die Nutzungsbedingungen von Facebook, als eine der populärsten Medienumgebungen, sagen klar und deutlich, dass jeder Mensch nur ein Konto haben darf und die Umgebung setzt voraus, dass der Mensch darin die Informationen über sich selbst teilt. Dennoch zeigt schon die kleinste und flüchtigste Beobachtung, dass auch die Social-Media-Welt Estlands voll mit aberhunderten künstlichen Personen ist. Man findet dort sowohl anonyme Konten als auch solche mit Fake-Identität.
In diesen anonymen Konten wird nicht einmal versucht, mit dem Namen des Profils oder den Bildmaterialien auf dem Konto Hinweise über den dahinter stehenden Mensch zu geben. Jedoch findet man in den Fake-Konten einen Profilnamen, der einen Eindruck einer realen Person hinterlässt und unter den Bildern des Kontos gibt es Bilder von „echten“ Menschen, allerdings existiert kein Mensch mit einem solchen Namen und die Fotos sind aus dem Internet geklaut.
Solche Konten leben ihr eigenes Leben. Sie sind auf den Freundeslisten von jemandem und nehmen aktiv an den Diskussionen, Unterhaltungen und der Gestaltung von Social-Media-Inhalten teil.
Das Erstellen eines Fake- oder anonymen Kontos ist nicht besonders kompliziert. Je nach Social-Media-Umgebung kann es einfacher oder doch zeitaufwendiger sein, aber jeder, der es nur möchte, bekommt es hin.
Das Erstellen von Originalinhalten für einen anonymen oder gefälschten Account wird von Tag zu Tag einfacher. Künstliche Intelligenz macht es bereits jetzt ganz einfach, künstliche „echte“ personenbezogene Materialien wie Profilbilder, Videos oder Audiodateien zu erstellen. Man muss nicht mehr das Gesicht eines anderen als Profibild stehlen, sondern man eine einzigartige Person erschaffen, die in der Realität nicht existiert. Das von der künstlichen Intellekt entwickelte Deepfake-Feld entwickelt sich zunehmend weiter, so dass es immer schwieriger wird, zu verstehen, mit wem wir in den Diskussionen in den sozialen Medien zusammenstehen oder mit wem wir konfrontiert sind. Um dies alles zu verstehen, werfen Sie einen Blick auf thispersondoesnotexist.com. Alle Gesichter, die uns von dieser Seite anschauen, wurden mit künstlicher Intelligenz erstellt und existieren in Wirklichkeit nicht.
Der Kampf läuft gegen die Wand
Der Kampf gegen Fake-Personen und Fake-Nachrichten findet jeden Tag statt. Sei es aus dem Grunde, dass die Internetumgebungen selbst wünschen, sich sauberer zu machen oder aus der Angst heraus, dass die Staaten sie dafür bestrafen könnten. Jedoch hat die Praxis der letzten Jahre gezeigt, dass jede solche Initiative einige Monate später mit der Feststellung „leider ist es nicht gelungen“ beendet wurde.
In der jüngeren Vergangenheit erinnern wir uns an einem Lösungsansatz von Facebook, um Fake-Nachrichten zu kennzeichnen, wo sich einige Monate später herausstellte, dass dies in ganz und gar andere Richtung funktioniert hatte. Die Kennzeichnung lenkte im Gegenteil noch viel mehr Aufmerksamkeit auf die falschen Informationen.
Die Handlungspraxis von Facebook, nach der ein Konto, welches falsche oder feindliche Informationen verbreitet, für 30 Tage gesperrt wird, hat diese Umgebung nicht sauberer gemacht. Dies zwingt nur die Verbreiter solcher Informationen dazu, parallele Fake-Konten zu erstellen, mit denen dann die Tätigkeit fortgeführt werden kann. Dies erhöht die Künstlichkeit aber noch weiter.
Die Schaltfläche, um über das problematische Konto zu berichten, ist wie ein Schalter an einer Wand, dessen Kabel nirgendwo hinführen. Ein Drücken dieses Schalters von einem einzelnen Menschen verhallt wie die Stimme des Rufenden in der Wüste.
Diese sind nur einige Beispiele von den misslungenen Versuchen, die Internetumgebungen sauberer zu machen. Das alltägliche Bild zeigt deutlich, dass es nicht gelungen ist, erfolgreiche Lösungen zu finden.
Ist das gefährlich?
Ein Mensch ist ein emotionales, kein rationales Wesen. Die meisten von uns wissen, dass man einen fremden Menschen nicht einfach so durch die Tür herein lässt und auch in den sozialen Medien einen völlig fremden Menschen nicht als Freund annehmen sollte. Dies bedeutet aber keineswegs, dass die meisten Menschen das auch nicht machen. Die Fake-Konten haben Freunde, und die Freunde haben Freunde und wenn es die Fake-Konten erst einmal geschafft haben, den ersten Schritt zu machen, klappt das weitere Finden von Freunden immer schneller und schon bald befindet sich das Fake-Konto auf der Freundesliste echten Menschen.
Er hat es in die Gesellschaft geschafft, deren Meinungen, Aussagen und Ansichten wir Aufmerksamkeit widmen. Er kann an den Unterhaltungen unseres Freundeskreises und an der Gestaltung der Gesprächsthemen teilnehmen und er hat Zugang zu den Informationen, die uns und unsere Freunde betreffen. Wir allerdings wissen nicht, wer er ist und wessen Geschäfte er betreibt.
Nicht selten sind die Beispiele, wo man mit mehreren Fake-Konten beginnt, die Inhalte der Diskussionen zu lenken, und dabei den Eindruck hinterlässt, dass eine große Menge Menschen genau in diese Richtung denkt, dass dies der Wunsch der Mehrheit ist. Tatsächlich kann hinter einer eine Menschenmasse darstellenden Armee von Fake-Konten lediglich eine Person oder eine kleine Gruppe Menschen stecken.
Ein weiterer Grund, warum es sich lohnt, Armeen von Fake-Konten zu verwalten, ist die Möglichkeit, darüber den Algorithmus zu beeinflussen, der die Basis für das Funktionieren einer Social-Media-Umgebung ist. Das System sucht nach Anzeichen dafür, was größere Mengen von Menschen interessieren könnte und gibt dann mit solchen Themen noch einmal Impulse dazu, um diese Informationen vor noch mehr Augen zu bringen. Aber in Wirklichkeit verstärkt es nur die Interessen einer kleinen Runde.
Was müsste gemacht werden?
Zauberstock und Zauberkugel, die dieses Problem lösen würden, gibt es nicht und wird es wahrscheinlich auch nicht geben. Jedoch müsste man die in der digitalen Welt herrschenden Probleme gemeinsam und auf mehreren Ebenen angehen.
Die erste Ebene ist die der Gesetze, auf der die Möglichkeiten der existierenden rechtlichen Rahmen ausgenutzt werden müssten und, wenn diese erschöpft sind, über die Modernisierung der Gesetze nachgedacht werden müsste, damit diese uns besser schützen. Menschen müssten aktiver für ihre in der digitalen Welt verletzten Rechte einstehen. Ein gutes Beispiel aus Estland ist Marika Korolev, die vor Gericht ihre Rechte geltend gemacht hatte und für eine Bestrafung der Bösen gesorgt hat. In Finnland gibt es ein solches Beispiel mit Jessika Aro, in dem ein skandalöses Nachrichtenportal, das Menschen verleumdet, schikaniert und zu Feindseligkeit aufgerufen hatte, geschlossen wurde. Jessika wurde von dem Strafrecht beschützt, auf dessen Grundlage das Gericht seine Entscheidung traf.
Die zweite Ebene sind die Organisationen, die die Geschehnisse in der digitalen Welt analysieren und beschreiben, und die dabei helfen können, den Informationsraum zu reinigen. Ein gutes Beispiel ist das DFRLab (Digital Forensic Research Lab) des Atlantic Council, das Infomanipulationen im digitalen Raum analysiert und beschreibt. Jeder Mensch hat Wort- und Meinungsfreiheit, aber wenn Technologien bewusst eingesetzt werden, um Nachrichten zu verfälschen, ist das nicht mehr Wortfreiheit, sondern Informationsmanipulation und dies muss hervorgehoben und bei Bedarf auch begrenzt werden. DFRLab hat dies erfolgreich durchgeführt und damit Dutzende von Infomanipulationen sowohl auf Twitter als auch auf Facebook gestoppt.
Die Dritte und wichtigste ist, das Bewusstsein der Menschen für die Möglichkeiten und Techniken der Manipulation zu schärfen, um ihr kritisches Denken und ihre Fähigkeit, Fehlinformationen zu widerstehen, zu verbessern. Es ist wichtig, die Menschen dazu zu bringen, zu analysieren, was in der digitalen Umgebung um sie herum geschieht.
Hierbei ist Finnland ein gutes Beispiel, dort beschäftigt man sich schon seit dem Kindergarten mit dem kritischen Denken und dem bewussten Medienkonsum.
Estland hat noch einen langen Weg zu gehen. Es wurde oft über die Fähigkeit sowjetischer Menschen gesprochen, Propaganda durchzuschauen und dagegen Immun zu sein. Aber das kann gegen die aus Russland stammende Propaganda nur für eine bestimmte Altersgruppe gelten, aber das hilft mit Sicherheit nicht in der digitalen Welt.
Die Lehre der digitalen Medien als ein fester Bestandteil der Bildung
Derzeit ist die Medienerziehung in der Gymnasialstufe ein Teil des Estnisch-Unterrichtes und seit dem Frühjahr diesen Jahres auch ein separates Unterrichtfach als Wahlfach. Das ist sicherlich zu wenig. Die Medienerziehung als Teil des Estnisch-Unterrichtes kann vom jedem Lehrer selbst reguliert werden und ist leider viel zu oft bis auf null herunter geregelt.
Das Unterrichten digitaler Medien und des kritischen Denkens müsste ein fester Bestandsteil der Grund- und auch Hauptschule werden, weil die Menschen das Leben in der digitalen Blase Jahr für Jahr immer früher beginnen. Bildlich gesagt haben wir heute die Situation, in der ein Mensch schon mit 12 ein Auto fährt, aber mit dem Unterricht für die Verkehrsregeln beginnen wir erst dann, wenn er volljährig wird.
Sicherlich bräuchte man auf der staatlichen Ebene einen konkreten Verantwortlichen für die Medienerziehung, der einen Blick auf die Zukunft halten und eine solche Tätigkeit bewusst und entsprechend der finanziellen Möglichkeiten koordinieren würde. In diesem Frühjahr hat man damit begonnen, die „Woche der Medienbildung“ durchzuführen, die hoffentlich zu einer Tradition wird und den Fokus auf die Medienerziehung zu halten hilf.
Fotos: Personen, die mit Hilfe von Deepfake-Technologie erstellt wurden und im wirkliche Leben nicht anzutreffen sind. Quelle: https://thispersondoesnotexist.com/. Titelbild Max Pfandl/Flickr/CC