18.12.2018
In der Rubrik Mythosbrecher widerlegen wir jene Narrative, welche die Propagandisten des Kremls über Estland verbreiten. Wir haben schon drei Mythen auseinander genommen und bewiesen, dass Estland der Sowjetunion nicht freiwillig beigetreten war, die Sprachanforderungen, um estnischer Staatsbürger werden zu können, nicht diskriminierend sind und dass die Esten keine Faschisten sind.
Heute werden wir die Propagandabehauptung, dass die estnische Wirtschaft am Rande einer Krise stünde, genauer ansehen.
Mythos: die estnische Wirtschaft liegt in den letzten Zügen
Wo wird dieses Mythos verbreitet?
Der Ursprung dieses Mythos sind Talkshows und Meinungsberichte von Journalisten und Aussagen der Experten, die alle unter dem Einfluss des Kremls stehen. Von dort sind die Metastasen dieses Mythos weiter in den sozialen Medien gewandert, teilweise sogar in die westlichen Medien. Unter Links findet man einige Beispiele solcher Medientexten, diese sind zahlreich zu finden, wenn man im russischsprachigen Internet unter den Stichwörtern „Estland + Wirtschaft“ sucht.
Was genau behauptet dieser Propagandamythos?
Der Mythos hat eine Reihe von Unterthemen und Variationen:
Meistens aber kommt eine allgemeine emotionale Wahrnehmung vor, dass „es in Estland mit der Wirtschaft schlecht steht“, ganz charakteristisch für einen Mythos wird aber nicht einmal versucht, diese Gedankengänge besonders zu begründen. Auszeichnend sind vage Behauptungen über niedriges Einkommen und hohe Preise, über Chaos, eine gescheiterte Gesellschaft, Hinweise auf eine demografische Katastrophe.
Das ganze Gerede betrifft nicht nur Estland, der Mythos über einen wirtschaftlich gescheiterten Staat mit ähnlichen Unterthemen wird auch über Lettland und Litauen erzählt.
Warum wird dieser Mythos verbreitet?
Dieser Mythos ist ein Teil der innerstaatlichen Propaganda des Kremls, welcher die sowjetische Nostalgie und das großstaatliche Weltbild anfacht. Durch das Verbreiten der Vorstellung, es würde den Kleinstaaten, welche das Imperium verlassen haben, schlecht gehen, wird versucht das Selbstbewusstsein der Russen zu steigern und die Unterstützung für das Regime zu steigern.
Das zweite Ziel dieses Mythos ist der Wunsch, eine Unsicherheit in der estnischen Gesellschaft zu schaffen. Wenn hier viele Menschen leben, die die wirtschaftliche Situation für schlecht halten, liegt das im Interesse des Kremls. Außenpolitisch wird mit dem Verbreiten dieses Mythos versucht, die Unterstützung für die Abschaffung der Sanktionen gegen Russland sowie für eine kremltreue Politik zu steigern.
Wahrscheinlich ist der Grund für die Verbreitung dieses Mythos mangelnde Informationen über heutige Situation in Estland. Auf Russisch gibt es nicht viele Quellen, die von der Wirtschaft ein zeitgemäßes, objektives und nicht verdrehtes Bild geben würden.
Wir widerlegen den Propagandamythos
Die estnische Wirtschaft im Vergleich mit der von anderen Staaten der Welt
Der wirtschaftliche Stand von Staaten wird durch das Bruttoinlandsprodukt gut dargestellt. Wenn man die Wirtschaft verschiedener Staaten der Welt nach diesem Merkmal auflisten würde, wäre die Position Estlands auf dieser Rangliste besser geworden: im Jahr 1995 waren wir auf Platz 54., in 2017 aber auf Platz 41.
Die estnische Wirtschaft im Vergleich mit den postkommunistischen Staaten.
Die Lage der estnischen Wirtschaft kann auch mit der von den ehemaligen Staaten des Ostblocks verglichen werden. Wenn im Jahr 1995 sechs Staaten vor Estland waren (Slowenien auf Platz 34., Tschechien 36., Ungarn 43., Slowakei 44. und Kroatien 46.), dann waren es im 2017 nur noch drei (Slowenien 34., Tschechien 37. Und Slowakei 40.).
Einen übersichtlichen Eindruck über die Lage Estlands nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit gibt der direkte Vergleich mit Russland, was nicht eben den Mythos von einem wirtschaftlich gescheiterten Staat unterstützt.
Die estnische Wirtschaft und Sanktionen
Die von Russland verhängten Gegensanktionen gegen die estnische Wirtschaft beeinflussen die Wirtschaft in Estland bestimmt, vor allem die Landwirtschaft und den Transit. Im Vergleich mit der Zeit vor fünf Jahren ist der Export nach Russland heute ca. um ein Drittel geringer: im Jahr 2013 waren es 1,4 Mrd Euro, im Jahr 2017 0,9 Mrd Euro. Dennoch muss angemerkt werden, dass der Warenaustausch mit Russland nur 7 % vom gesamten Jahresexport Estlands ausmachte. Auch diese Zahl unterstützt nicht den Propagandamythos über eine durch die Gegensanktionen verursachte Wirtschaftskrise in Estland.
Estland und Eurosubventionen
Estland erhält bis zum Jahr 2020 jährlich 4,4 Milliarden Euro an Subventionen. Nach 2020 beginnt eine neue Haushaltsperiode der EU und wahrscheinlich werden die Beträge für Subventionen geringer ausfallen. Laut Finanzministerium wird Estland wahrscheinlich 40 % weniger bekommen, in etwa 2,9 Milliarden Euro pro Jahr.
Die Verringerungen der Eurosubventionen bedeutet für die estnische Wirtschaft aus einem einfachen Grund keine Katastrophe: wir werden eben deswegen weniger Geld bekommen, weil wir wirtschaftlich erfolgreich sind. Längerfristig möchten wir so reich werden, dass wir vom Empfänger der Unterstützung selbst zum Geber werden können.
Lies von den Einflüssen Näheres in den Zeitungen Äripäev, Postimees und im Blog vom Finanzministerium.
Die Gehälter steigen, die Arbeitslosigkeit ist niedrig – gibt es in der estnischen Wirtschaft keine Probleme? Bestimmt gibt es die, zum Beispiel zählte das Institut für Wirtschaftsforschung ganze 15 Problempunkte auf, für den normalen Menschen ist der verständlichste davon die Ungleichheit der Einkünfte. Dennoch gibt das ganze keinen besonderen Grund für ein einseitig propagandistisches Bild, wie es in den kremltreuen Medien über die estnische Wirtschaft gezeichnet wird.
Der Mythos ist zerstört!
Mit Stand von 2018 kann man sagen, dass es Estland wirtschaftlich noch nie so gut gegangen ist.
Zusätzliches zum nachlesen:
Gapminder.org erfasst und präsentiert statistische Informationen über die Länder der Welt, Quelle Weltbank, IMF u.s.w.
Über die estnisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen auf Estnisch, Russisch und Englisch.
Foto: Thomas Hawk/Flickr/CC. Infografik: Propastop.