Mythosbrecher 2. Teil: Staatsbürgerschaft

22.05.2018

Der Mythosbrecher ist eine Rubrik Propastops, in welcher die Estland betreffenden Propagandalügen und Narrative widerlegt werden. Wir haben bereits nachgewiesen, dass die Sowjetunion Estland okkupiert hat und somit den Mythos über „das freiwillige beitreten“ widerlegt.

Heute werden wir den irrtümlichen Eindruck zerstören, in Estland herrschten besonders schwierige Bedingungen, um die Staatsbürgerschaft zu erlangen oder die Möglichkeiten sich einzubürgern wären für die russischen Einwohnern irgendwie begrenzt.

Mythos: Das estnische Staatsbürgerschaftsgesetz schikaniert Russen

Wo wird dieser Mythos verbreitet?

Einige Beispiele von Artikeln russischer Propagandamedien, in welchen dieses Mythos gefestigt wird: Komsomolskaja PravdaRIA NovostiRT. Die Spuren dieses Mythos kann man auch in den westlichen Medien, z.B. im Spiegel treffen. Neulich wurde dieses Thema in Al Jazeeras behandelt. Es scheint, dass sich dieser Mythos über die Staatsbürgerschaft auch in den Vorstellungen der Einwohner Estlands verbreitet hat.

Warum wird dieser Mythos verbreitet?

Der Mythos über die „Staatsbürgerschaftsschikane“ ist ein Teil der breiteren Propagandanarrative des Kremls, die darauf abzielt, eine auf Nationen basierende Kluft in der estnischen Gesellschaft zu schaffen und zu vertiefen, sowie Misstrauen gegen die Estnische Republik zu säen. Mit dem Aufwerfen dieser Thematik in Europa will man einen Keil zwischen Estland und die Verbündeten treiben.

Die Narrative ist in der Regel ein Bündel von Anschuldigungen, in welchen durcheinander mehrere Lügen enthalten sind. Zum Beispiel wird behauptet, dass die russischsprachigen Einwohner Estlands keine Möglichkeit haben, die Politik mitzugestalten, das Parlament zu wählen (dies entspricht nicht der Wahrheit, weil die Wahlmöglichkeiten nicht durch die Nationalität oder Sprache begrenzt werden, jedoch kann das estnische Parlament nur von den estnischen Staatsbürgern gewählt werden). Dazu kommen noch die falschen Behauptungen über die sehr schwierigen Bedingungen zur Erlangung der Staatsbürgerschaft und über die enormen Kosten, um sich einbürgern zu lassen (beide Behauptungen werden von uns hier unten widerlegt), über auf Sprache basierende Belästigungen und kulturelles schikanieren. Es wird nicht versucht die durcheinander dargestellten Anschuldigungen zu rechtfertigen, da das Ziel des Ganzen lediglich das Schaffen einer negativen Meinung über Estland ist.

Ein Grund, warum dieser Mythos sehr hartnäckig ist und nicht verschwinden will, scheint der schlechte Wissenstand bezüglich der estnischen Gesetze zu sein. Es werden wiederholt Behauptungen aufgestellt, die auf dem alten Staatsbürgerschaftsgesetz basieren, welches aber schon fast seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr gültig ist.

Wir widerlegen den Propagandamythos

Die Behauptung, dass die estnische Staatsbürgerschaftspolitik sehr hart ist, entspricht nicht die Wahrheit. Damit sich eine volljährige Person ohne Staatsbürgerschaft in Estland einbürgern lassen kann, muss von ihm/ihr ein Antrag gestellt werden und er/sie muss folgenden Anforderungen gerecht werden:

  1. Wohnsitzerfordernis in Estland : mindestens 8 Jahre
  2. Die Verpflichtung zur Achtung der Gesetze: Der/die Antragsteller/in muss bestätigen, dass er/sie loyal gegenüber dem estnischen Staat ist und den Gesetzen sowie die verfassungsmäßigen Ordnung folgt. Er/sie darf nicht wiederholt straffällig geworden sein. Man muss eine E-Prüfung bestehen, um zu zeigen, wie gut man das Grundgesetz kennt.

Wie ernst diese „Prüfung“ ist, kann jeder auf Wunsch auf der Internetseite von Innove ausprobieren. Diese “Prüfung“ ist ein Multiple-Choice-Test, und es ist möglich diesen Test kostenlos so lange zu üben, bis man alle Antworten auswendig kennt. Jedoch mutet die genannte Internetseite selbst kompliziert und altmodisch an, was wahrscheinlich die Befremdung derjenigen, die sich einbürgern lassen wollen, vertieft.

  1. Man muss die Sprache auf Stufe B1 können. Wenn man eine estnischsprachige Schule absolviert hat, muss keine Sprachprüfung abgelegt werden.
  2. Man muss ein sicheres Einkommen haben.

Es gibt bei der Erlangung der Staatsbürgerschaft keine auf einer Nationalität basierende Beschränkung.

Die Bedingungen zur Erlangung der estnischen Staatsbürgerschaft kann man auch dann nicht für sehr streng halten, wenn man diese zum Beispiel mit denen Russlands vergleicht, so über die vorgegebene Zeit, wie lange man dort seinen Wohnsitz haben muss, aber auch bezüglich  der Gesetztreue, der Staatssprache und dem festen Einkommen. Die Tabelle unten vergleicht die Voraussetzungen zur Erlgangung der Staatsbürgerschaft in Estland mit denen anderer Staaten.

Ist die Staatsbürgerschaft zu erlangen in Estland teuer? Die Gebühr beträgt EUR 12,78. Der Personalausweis kostet zusätzliche EUR 24,28. Die Staatsbürgerschafts- und Sprachprüfung ist nicht kostenpflichtig. Es gibt kostenlose Sprachkurse. Hat man für den Sprachunterricht doch selbst bezahlt, kann man das Geld nach der erfolgreich bestandenen Prüfungen zurückfordern.

Der Mythos ist zerstört!

Die widerlegenden Fakten des Propagandamythos und vergleichende Analyse.

Die Staatsbürgerschaftsanforderungen Estlands sind nicht kompliziert, sondern für alle Interessierten machbar, die Regeln ähneln denen in Russland und den meisten Europäischen Staaten.

Zusätzliche Info:

In Estland lebten mit Stand 1. Januar 2017 1 315 635 Menschen, von denen 77 926 (5,92%) mit undefinierter Staatsbürgerschaft und 86 674 (6,59%) russische Staatsbürger waren. Die Daten stammen von der Datenbank des Statistikamtes, um diese zu finden, müssen entsprechende Suchfelder ausgefüllt werden. Einfacher zu finden sind die Daten früherer Jahre in Wikipedia.

Infos über die Staatsbürgerschaftspolitik verschiedener Staaten können hier gelesen werden.

Infos über die Staatsbürgerschaftsbedingungen in Estland können auf Russisch hier und auf Englisch hier gelesen werden.

Die Daten verschiedener Staaten über Ausländer und dem Anteil der Bürger ohne Staatsbürgerschaft findest du hier.

Propastop bedankt sich für die Konsultation bei Koidu Mesilane vom Innenministerium.

Foto: Thomas Hawk / Flickr / CC