09.07.2019
„Es irrt sich derjenige, der meint, dass Tiflis eine Ausnahme war/ totalitäre Staaten haben nie mit dem Verstand gestrahlt“, hatte JMKE, eine Punkband im Jahr 1989 gesungen, als die sowjetische Armee vor dem jetzigen Parlamentsgebäude Georgiens 21 Demonstranten getötet hatte.
Bedauerlicherweise hat es Georgien in den letzten Monat wegen gewalttätiger Proteste und den darauffolgenden russischen Angriffen gegen das Image Georgiens und seine Wirtschaft in die Nachrichten geschafft. Einen Überblick von der Chronologie dieser Krise bekommt man zum Beispiel aus einem Artikel der Zeitung „Postimees“, Propastop sucht eine Antwort auf die Fragen, die versuchen, die Geschehnisse aus dem Blickwinkel der Propaganda und des Informationskrieges zu erklären.
Wer ist schuld?
In den Medien trifft man auf ein Narrativ, laut welchem Georgien das entstandene Durcheinander selbst verursacht hat – die Unfähigkeit, die Sicherheit der russischen Botschafter zu gewährleisten, die an der orthodoxen zwischenparlamentarischen Versammlung teilnehmen, die Unfähigkeit, Oppositionspartei und Protestanten im Zaume zu halten, aber auch wegen der allgemeinen aggressiven Russophobie.
Dennoch ist eben der Kreml derjenige, der entschied, die innerstaatlichen Geschehnisse Georgiens außenpolitisch zu eskalieren: er verbot gegenseitige Flüge, warnte seine Einwohner vor Reisen nach Georgien und drohte, georgische Weine mit einem Importverbot zu bedrohen. Alle kremltreue Medien beschuldigen Georgien der Russophobie, um so diesen Staat intensiv als Alleinschuldigen zu bezeichnen. Somit hat eben Russland allein alle realen Schritte gegen Georgien durchgeführt.
Bereits die Frage „Wer begann?“ auf den ersten Platz zu stellen, kann für eine Methode des Informationskonflikts gehalten werden, die der angreifenden Partei quasi freie Hände für weitere Schritte seinerseits geben würde. Den Beginn des Georgischen Krieges im Jahr 2008 hatte Russland eben mit einem ersten Angriff von anderer Seite gerechtfertigt. Ähnliche Narrative gab es auch vor dem Ost-Ukrainischen Krieg und vor der Okkupation der Krim.
Wurde dieser Konflikt von Russland provoziert?
Die Ereignisse, die im Georgischen Parlament zu einem Konflikt geführt hatten, scheinen nicht vom Kreml initiiert worden zu sein. Jedoch scheint es, dass die Regierungsspitze Russlands alle Vorbereitungen getroffen hatte, um bei passender Gelegenheit eigene Aktionen in Georgien zu beginnen. Die Schnelligkeit und Sicherheit, mit welcher die Sanktionen gegen die georgische Wirtschaft durchgeführt und der aktive Medienangriff begonnen wurde, bestätigt, dass die Pläne nicht improvisiert waren, sondern diese schon länger auf einen passenden Zufall zum Durchführen gewartet hatten. Somit wurde ein Anlass für die genannte Krise gefunden.
Russland wurde vom Georgischen Präsidenten Salome Zurabisvili und dem Milliardär Bidzina Ivanišvili, dem Führer der Regierungspartei „Georgischer Traum“ und inhaltlich somit des ganzen Staates, der Provokation beschuldigt. Es ist aber nicht eindeutig, worauf sich diese Anschuldigungen sich stützen.
Wie kann Georgien geholfen werden?
Der entstandene Streit hat Georgien schon jetzt hart getroffen. Die Höhe der russischen Sanktionen wird an einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 1,5 % gemessen. Georgiens Glaubwürdigkeit ist in den Augen der NATO- und EU-Verbündeten erheblich gesunken, da das, was in Tiflis geschehen ist, werder Regierung noch Opposition ehrt. Um diese Glaubwürdigkeit zu erreichen, wurde lange Jahre wirklich gute Arbeit geleistet.
Um Georgien zu unterstützen, lohnt es sich, diesen Staat als Tourist zu besuchen, umso mehr, weil jetzt Direktflüge von Tallinn nach Batumi gestartet wurden. Dagegen ist zum Beispiel das Trinken des Borjomi Wassers nicht unbedingt die beste Methode, um Georgien zu helfen. Dieses vom Bakurani Gebirge stammende gesunde Mineralwasser wird von der Alfa Gruppe nach Estland verkauft. Das ist eine der größten Firmen, deren Großeigentümer laut Wikipedia Mihhail Fridman ist, einer der reichsten Menschen sowohl Russlands als auch der ganzen Welt.
Ist ein ähnlicher Angriff auch gegen Estland möglich?
Bei Interesse könnte der Kreml genügend Vorwände finden, um einen ähnlichen Medienangriff zu initiieren. Es würden solche mit der Geschichte oder mit der Faschismusanschuldigung verbundenen Themen passen, warum nicht zum Beispiel das Lihula Denkmal. Die Nachrichten, als wäre geplant, diesen Stein wieder zu eröffnen, wurden in den Medien des Ostnachbars in den letzten Tagen viel verbreitet. Aber auch andere Propagandanarrative könnten genutzt werden: das Diskriminieren der „Landsleute“, die Begrenzung der Menschenrechte von Russen oder einfach eine abstrakte Anschuldigung der Russophobie.
Schritte gegen den estnischen Tourismus wären ebenso möglich, obwohl es hier nicht so viele aus Russland stammende Touristen gibt, wie in Georgien. Der größtmögliche Schaden aber wäre ein Schlag gegen die estnische Reputation. Wenn wir die Anschuldigungen vor dem Westen und den Verbündeten abwehren und die Sachlage erklären müssten, wäre es für das Estlandbild bestimmt von Nachteil.
Übrigens, die russischen Medien haben bereits versucht, Estland in die georgischen Konfrontationen hineinzuzerren. In der Presse des Ostnachbars wurde behauptet, dass in Tiflis auch die estnischen Botschafter, die an der orthodoxen zwischenparlamentarischen Versammlung teilgenommen hatten, angegriffen wurden. Die Nachricht wurde in der Presse des Kremls absichtlich verdreht formuliert, die russischsprachige Postimees hatte über das Ereignis berichtet, dass es sehr wohl Missverständnisse gab, diese aber freundlich gelöst wurden.
Bild 1: Demonstranten vor dem Georgischen Parlament im Juni 2019: George Melashvili, Wikipedia, CC.
Bild 2: Screenshot von auf dem in diesem Bericht hingewiesenen Artikel.