das Flaggschiff des Bürgerjournalismus

26.04.2019

Die im Jahr 2014 von Eliot Higgins angelegte Internetseite bellingcat.com – „das Zuhause der online-Recherchen“ und die sich dahinter gesammelte Gruppe Freiwilliger sind heute zu einen Flaggschiff für das auf Bürgerjournalismus und öffentlichen Quellen basierende investigative Recherchieren geworden.

Die Gruppe hat ihren Namen „Bellingcat“ nach der mittelalterlichen Fabel „Belling the cat“ bekommen, in dem Mäuse darüber beratschlagen, wie sie die Katze unschädlich machen könnten, die sie schikaniert. Eine der Mäuse schlägt vor, der Katze eine Glocke um den Hals zu hängen, welche über die näher kommende Gefahr Bescheid geben würde. Diese Idee wurde von allen Mäusen für gut befunden, aber am Ende ist niemand bereit, das zu realisieren.

Der Gründer Bellingcats ist der im englischen Leicester lebende Finanzier Eliot Higgins, der im Jahr 2012 nach der Geburt seines ersten Kindes entschied, mit welchem er zunächst zuhause war, entschied, mit einem Blog zu starten. Er beschloß,  sich mit Online-Recherchen zu beschäftigen, um basierend auf öffentlichen Quellen die Verbrechen gegen Menschen in Libyen, Syrien und in anderen ähnlichen Krisengebieten zu aufzudecken. Sein Blog „Brown Moses“ konzentrierte sich auf das Sammeln und analysieren von Videos im Internet, und somit Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu untersuchen und aufzudecken.

Die Recherchen von Higgins verbreiteten sich und bald entstand seine Zusammenarbeit mit den Menschenrechtsorganisationen Human Right Watch und Amnesty International, welche begannen, seine Expertisen zu benutzen. Während der Recherchen im Internet, durch den Austausch von Gedanken und Erfahrungen, entstand für Higgins ein Netzwerk von freiwilligen Helfern, über welches man zu dem einen oder anderen Detail Expertenmeinungen einholen konnte. Bald hatte sein Blog ein halbe Million Besucher pro Monat und das Vorhaben wuchs immer weiter.

Im Juli 2014 startete Higgins die Webseite „bellingcat.com“ und begann mit Hilfe privater Spender über das Crowdfounding –Portal Kickstarter Mittel zu sammeln, um die Recherchetätigkeiten zu finanzieren.

Zum ersten und bislang auch bekanntesten Rechercheobjekt von Bellingcat wurde im Juli 2014 das über der Ukraine abgeschossene Flugzeug der Malaysia Airline, MH17. Das Team von Bellingcat hat es geschafft, auf öffentlichen Quellen basierend die zum Abschuss des Flugzeuges genutzte Rakete festzustellen und ebenso deren Weg vom Startpunkt bis zum Abschussort glaubwürdig nachzuweisen; ebenso die Zusammenhänge mit der russischen Armee und wichtige Details über die Transportmittel bis zu den Mitgliedern des Begleitteams.

In seinen Recherchen hat Bellingcat Informationen aus öffentlichen Quellen genutzt. Es wurden sowohl die Bildersuche, Internetarchive, verschiedene Umgebungen in den sozialen Medien, Satellitenbilderdatenbanken und ein großes gobales Netzwerk freiwilliger Digirecherchierer und Experten aus verschiedenen Bereichen befragt, die beim Analysieren der Details mithelfen.

Der auf der Internetseite von Bellingcat veröffentlichte vollständige Bericht ist wie ein Thriller, in dem alle Details und Methoden der Recherche für jeden verständlich Schritt nach Schritt beschrieben wurden, so dass alle es nachvollziehen können.

Die Online-Recherche über MH17 stellt für die Öffentlichkeit im Großen und Kleinen auch all das dar, was  Bellingcat überhaupt ist und wofür sie stehen.

Eine der letzten größten Leistungen Bellingcats ist der Fall über die Vergiftung Skripals. Laut Higgins hatten sie am Anfang kein Interesse an der Recherche zu diesem Fall, aber zu einem Wendepunkt wurde ein Auftritt des Verdächtigten im Fernsehkanal RT des Kremls, was dazu einlud, die Geschehnisse näher zu untersuchen.

Bis heute wurden drei Verdächtigte festgestellt, deren Verbindungen zueinander dargestellt und ebenso ihre Schritte und Beziehungen zur Vergiftung Skripals. Diese Recherchen wurden in Zusammenarbeit mit einer unabhängigen Recherchegruppe aus Russland durchgeführt, die den wichtigen Zugang zu den Materialien und Informationen Russlands gab. Für Bellingcat war dieser Prozess ein Schritt in die Richtung, die bislang nicht in seinen Recherchen benutzt worden waren. Während der Recherchen im Fall Skripal wurden die in den File-Tauschumgebungen verbreiteten Datenbanken mit den Passdaten, Telefonnummern und anderen persönlichen Informationen  benutzt. Ebenso wurden Daten auf dem Schwarzmarkt gekauft und die Dienste von Infoanbietern aus Russland genutzt. Dies unterscheidet sich von den bisherigen Methoden bei den Recherchen öffentlicher Quellen, aber es handelt sich jedoch um Dienste, die zwar kostenpflichtig, aber für jedermann zugänglich sind.

Das Hauptquartier Bellingcats befindet sich in Leicester, in der Heimatstadt von Higgins. Mit Stand Anfang 2019 gibt es in dem Rechercheteam 11 angestellte Mitarbeiter und ungefähr 60 weitere Mitarbeiter in der ganzen Welt. Die Aktivitäten unter dem Namen Bellingcat begannen gleichzeitig mit einer Geldsammelkampagne im „Kickstarter“, worüber die Spenden auch heute gesammelt werden. Zusätzlich zum Sammeln von Spenden wird Geld, um die Kosten zu decken, auch mit der Durchführung von Kursen und Schulungen verdient, daraus stammen etwa 60 % des Einkommens. Finanziell wird die Tätigkeit Bellingcats auch von mehreren Fonds und Privatunternehmen unterstützt. So zum Beispiel von Google Digital News Initiative, dem Fond für Wortfreiheit in Holland, Adessium, dem Fond der offenen Gesellschaft und neulich kamen auch Gelder von der holländischen Postcode-Lotterie dazu. Mit Holland begann eine intensive Zusammenarbeit während der Recherchen über den Fall von MH17, weil 196 der 298 Passagiere diesen Fluges Bürger dieses Staates waren. Zudem plant Bellingcat im Jahr 2019 eine Zweigstelle in Holland, in den Haag zu eröffnen.

Diese zusätzlichen finanziellen Quellen geben die Möglichkeit, sich mit konkreteren Richtungen zu beschäftigen und dies besser organisiert als bislang. Higgins hat gesagt, dass früher die überwiegende Zahl der Mitarbeiter Bellingcats Freiwillige waren und sich mit den Themen beschäftigt hatten, für welche sie sich selbst interessiert hatten. Jetzt, wo in seinem Team auch Angestellte arbeiten, kann sich gründlicher auf bestimmte Themen, die recherchiert werden müssen, konzentriert werden.

Am 16. November 2019 war die Premiere für den von der holländischen Filmgesellschaft „Submarine“ produzierten 88-minütigen Dokumentarfilm “Bellingcat – Wahrheit in der Welt nach der Wahrheit“, die den Zuschauer in die Welt des investigativen Bürgerjournalismus einführt. Im Film sprechen sechs Teammitglieder von Bellingcat über ihre Arbeit, Recherchen, benutzte Techniken, Fortschritte und über das stärker werden der Bürgerpresse. Laut Hans Pool, dem Regisseur des Films, spricht dieser Film über den schweren Weg bei der Suche nach der Wahrheit, welcher oftmals ergebnislos endet, aber umso mehr gibt es Grund, solchen Menschen dankbar zu sein, die diese Arbeit freiwillig leisten.

Bellingcat als eine Gruppe, in der sich Freiwillige vereinen und öffentliche Quellen gewandt, findig und mitunter aus einem ganz neuen Blickwinkel betrachtend nutzt, hat noch einen weiteren Schritt getan, um den Einfluss seiner Tätigkeiten noch mehr zu verbreiten, und von den verschiedenen Mitteln, Techniken und Lösungen einen Werkzeugkasten zusammengestellt, womit es noch besser gelingt, die Infoscherben zu sammeln und zu überprüfen.

Im Februar 2018 wurde auf Google Docs ein Werkzeugkasten der Online-Recherchen Bellingcats veröffentlicht, in dem man Lösungen zum Beobachten, Analysieren und der Infosuche in den sozialen Medien; die Mittel zu Bildersuche und – Analyse; alle möglichen Suchmotoren; Hinweise zu Luftfahrt-, Seefahrt- und Verkehrsregistern; Links über die Datenbanken für Satellitenfotos und Geoinformationen und vieles Andere. Dieser Werkzeugkasten wird immer weiter entwickelt und es lohnt sich immer wieder dort einen Blick hinein zu werfen und sich neue Lösungen anzueignen.

Heute ist die wichtigste Aufgabe Bellingcats das Entwickeln der öffentlichen Quellenforschung im Bezug auf Rechtsprechung sowie dem Ernstnehmen und Steigern des Bewusstseins über Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen, als auch die Recherchen darüber, wobei, um Beweise zu sammeln, die für alle erreichbaren Quellen und Techniken genutzt werden. Unter der Aufmerksamkeit Bellingcats stehen aktuell die Regionen Syrien, Jemen und  Libyen.

Die Berichte und Rechercheanleitungen von Bellingcat haben ein konkretes und funktionierendes Modell geschaffen, wie man aus den öffentlichen Quellen die Daten heraussucht, diese analysiert und Schlussfolgerungen gezogen werden können sowie die daraus erhaltenen Entdeckungen der Welt so zu präsentieren, dass keine unbeantworteten Fragen übrig bleiben.

Ähnlich wie die von Bellingcat ähnliche auf öffentlichen Quellen basierende Recherchen werden auch von Atlantic Councili Digital Forensic Lab und Amnesty Internationali Forensic Archidecture durchgeführt und ironisch betrachtet wurde eine ähnliche Gruppe auch vom kremltreuen RT gegründet.

Eliot Higgins hat gesagt, dass, wenn von einem Ereignis zwei gegenseitige Varianten existieren, ziemlich schnell deutlich wird, wer lügt.

Lies zusätzlich:

The New Yorker – Rocket Man (2013)
The New Yorker – How to Conduct an Open-Source Investigation, According to the Founder of Bellingcat (2018)
The Spectator – How Bellingcat outfoxes the world’s spy agencies (2018)

Foto: Profilfoto von Eliot Higgins von dessen Twitterkonto, Poster des Films von der Internetseite bellingcatfilm.com.